Archivale des Monats

Das Montecatini-Werk in Sinich

Bildarchiv Sisto Sisti

Werksgelände in Sinich

In den 1920er Jahren begann die 1888 in Florenz gegründete Montecatini – Società Generale per l’Industria Mineraria e Chimica verstärkt mit der Herstellung von Kunstdüngern. Der Konzern profitierte dabei von der stetig wachsenden Nachfrage nach Düngemitteln, ausgelöst durch die massive Förderung der Landwirtschaft durch das faschistische Regime, das Italien von Getreideimporten unabhängig zu machen versuchte.
Aus einer vornehmlich wirtschaftlichen Überlegung heraus wurde der Bau einer Stickstofffabrik in Südtirol ins Auge gefasst, da dort genügend elektrischer Strom für den Betrieb der Maschinen erzeugt wurde. Bereits im September 1924 begann man mit der Errichtung des Werks und einer dazu gehörenden Wohnsiedlung für Arbeiter und Angestellte an der Mündung des Sinichbaches südlich von Meran. Nach und nach wurde das Gelände um eine Arbeiterküche, einen werkseigenen Laden und ein medizinisches Versorgungszentrum erweitert, sodass eine weitgehend autarke Siedlung entstand, wo die – zunächst 650, Ende der dreißiger Jahre bis zu 1000 – Arbeiter und Angestellten, großteils mit ihren Familien, lebten. Die Werksleitung sorgte auch – ganz im Sinne der Zeit – für die Freizeitgestaltung der Beschäftigten über die Opera Nazionale Dopolavoro, die sportliche und kulturelle Unterhaltung bot: Neben sportlichen Aktivitäten konnte man in den Gemeinschaftsräumen Radio hören oder die wöchentlichen Filmvorführungen besuchen; es wurden Ausflüge und verschiedene (auch faschistische) Veranstaltungen und Feierlichkeiten organisiert. Außerdem gab es eine kleine Theatergruppe und eine werkseigene Musikkapelle, die auch als Werbeträger der Montecatini auftrat.
Sisto Sisti (1906–1981), ein Werksangestellter, engagierte sich im Dopolavoro und stand diesem viele Jahre vor. Als leidenschaftlicher Fotograf dokumentierte er mit seiner Kamera nicht nur die zahlreichen Freizeitaktivitäten der Arbeiter und Angestellten, sondern auch das Werk selbst. Sein Fotobestand wird heute vom Südtiroler Landesarchiv verwahrt.
Nur wenige Jahre nach der Gründung des Werks und nach der Entsumpfung des Talbodens  stampfte die Opera Nazionale per i Combattenti (O. N. C.) zwischen dem Naifer Bach und dem Sinichbach das Dorf „Borgo Vittoria“ aus dem Boden, das 1928 eingeweiht wurde und wo Bauern und Arbeiter aus verschiedenen Teilen Italiens angesiedelt werden sollten. Das Projekt wurde jedoch aus verschiedenen Gründen nur teilweise umgesetzt, im Laufe der Jahre verschmolzen die beiden Siedlungen.
1966 übernahm die Edison den Montecatini-Konzern und fusionierte zur Montedison AG (heute Edison). Anstelle des alten Werks stehen heute in Sinich die Produktionsanlagen der Firma MEMC.

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