Rechtlicher Rahmen

Um Innovationen im Bildungssystem voranzutreiben, müssen Beschlüsse gefasst und Prinzipien umgesetzt werden, die zahlreiche Menschen und eine Vielzahl von sich voneinander auch stark unterscheidenden Situationen betreffen. Jeder Beschluss wird eingehend analysiert und anschließend durch Kriterien, Ausführungen und Richtlinien reglementiert, die für die Zielgruppen bindend sind.

Ein Grundprinzip, auf das diese Vorgehensweise aufbaut, ist der Wille, mögliche negative Auswirkungen auf das soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Gefüge eines Landes oder auf die Grundrechte des Menschen zu unterbinden. Folglich braucht es im Hinblick auf Bildungsbeschlüsse, die auf Innovation und Fortschritt abzielen, einen rechtlichen Rahmen, der solche unvorhergesehenen Auswirkungen a priori ausschließt. Als höchstes Grundprinzip gilt es, Recht auf Bildung, Chancengleichheit, Teilhabe und den Bildungserfolg der Einzelnen zu sichern.

Mit Beschluss der Landesregierung vom 3. November 2008, Nr. 3990 wurde in den Rahmenrichtlinien für den Kindergarten in Südtirol die sprachliche Bildung gesetzlich verankert. Die Bildungsarbeit im Kindergarten umfasst somit auch die Bildungsfelder „Sprache, Schriftsprachkultur, Zwei- und Mehrsprachigkeit”. In sprachlich komplexen Gebieten können einem Kindergarten aufgrund der Bewertung der Gesamtsituation zusätzliche personelle Ressourcen zugewiesen werden. Spezifische Kriterien zur Bildungsvision „Kommunikationsfreudige und medienkompetente Kinder“ und zum Bildungsfeld „Sprache, Schriftsprachkultur, Zwei- und Mehrsprachigkeit“ sind im Qualitätsrahmen für den Kindergarten zu finden.

Wie gestaltet sich sprachliche Bildung im Kindergarten?

Ausgehend von den Rahmenrichtlinien für den Kindergarten in Südtirol und dem Qualitätsrahmen für den Kindergarten setzen der Kindergartensprengel und das Team des Kindergartens lokal weitere pädagogisch-didaktische Schwerpunkte. Auf der Basis dieser Schwerpunkte und der Situationsanalyse vor Ort formuliert das Kindergartenteam konkrete Maßnahmen zur sprachlichen Bildung.

Aus den Rahmenrichtlinien für den Kindergarten in Südtirol, S. 32

„Sprache, Schriftsprachkultur, Zwei- und Mehrsprachigkeit

Der Erwerb sprachlicher Kompetenz ist einer der wichtigsten Aspekte der menschlichen Entwicklung und grundlegende Voraussetzung für Kommunikation und damit für den Zugang zur Welt.
Die Entwicklung von Sprache und Sprechen stellt einen komplexen, interaktiven und co-konstruktiven Prozess dar, der bereits vor der Geburt beginnt und lebenslang andauert. Der Spracherwerb vollzieht sich vor allem in der Interaktion mit anderen Menschen. Von Anfang an tritt das Kind mit seinem Umfeld in Dialog, und zwar mittels Gestik, Mimik und Lauten. Es lernt Sprache nicht nur über Nachahmung, sondern stellt, zunächst unbewusst, eigenständig Hypothesen darüber auf, wie Sprache aufgebaut ist. Dabei wird dem Prozess des kindlichen Erwerbs der zweiten Sprache und der besonderen Rolle der Erstsprache, als Grundlage für das Erlernen weiterer Sprachen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 
Sprachen bilden sich in einer sozialen Umgebung mit vielfältigen sprachlichen Anregungen und Spielanlässen heraus, die das Lernen über alle Sinne in den Mittelpunkt stellen. Am besten lernt das Kind Sprache im persönlichen Kontakt mit einer ihm zugewandten Bezugsperson und im positiven sozialen Kontakt mit Personen, die ihm wichtig sind. Dabei werden sprachliche Kompetenzen am erfolgreichsten im Zusammenhang mit Handlungen erworben, die für das Kind selbst Sinn ergeben und sein Interesse aufgreifen. Die Bezugspersonen sind sprachliche Vorbilder für das Kind. Den pädagogischen Fachkräften kommt dabei eine besondere Aufgabe zu. Eine Stärkung der sprachlichen Kompetenz berücksichtigt und nutzt diese Aspekte und bezieht alle Bildungsorte kindlicher Entwicklung mit ein.“

Aus dem „Qualitätsrahmen für den Kindergarten“, S. 11f

„Kommunikationsfreudige und medienkompetente Kinder“
„Sprache, Schriftsprachkultur, Zwei- und Mehrsprachigkeit“
Die Stärkung der sprachlichen Kompetenz zielt darauf ab, dass das Mädchen/der Junge Interesse an der Sprache und Sprachen sowie Freude am Sprechen und am Dialog erwirbt.

Kriterium 1
Die pädagogische Fachkraft bereitet eine Lernumgebung vor, in der das Mädchen/der Junge vielfältige sprachliche Anlässe erleben kann.
Kriterium 2
Die pädagogische Fachkraft gestaltet Handlungen und Situationen im Kindergartenalltag für das Mädchen und den Jungen sprachlich angereichert.
Kriterium 3
Die pädagogische Fachkraft greift Situationen im Kindergartenalltag auf, erkennt darin Sprachanlässe und gibt Impulse zur sprachlichen Weiterentwicklung.
Kriterium 4
Die pädagogische Fachkraft stärkt das Interesse und die Kompetenz des Mädchens/des Jungen, seine nonverbalen Ausdrucksformen weiterzuentwickeln.
Kriterium 5
Die pädagogische Fachkraft stärkt das Mädchen/den Jungen in seiner Bereitschaft und Fähigkeit, sich sprachlich auszudrücken und sich mit anderen auszutauschen.
Kriterium 6
pädagogische Fachkraft ermöglicht vielfältige Erfahrungen und Lernchancen rund um die Buch- Erzähl-, Reim- und Schriftkultur.
Kriterium 7
Die pädagogische Fachkraft begleitet das Mädchen/den Jungen beim Entwickeln der Fähigkeiten den lautlichen Aspekt und die Elemente der Sprache zu erfassen, die Lautstrukturen gesprochener Sprache wahrzunehmen und ein Bewusstsein für Sprache zu erlangen.
Kriterium 8
Die pädagogische Fachkraft bezieht die sprachliche Vielfalt der Mädchen und Jungen in die Aktivitäten zur Stärkung der sprachlichen Kompetenzen mit ein.
Kriterium 9
Die pädagogische Fachkraft nimmt die Entwicklungsprofile, Bedürfnisse und Kompetenzen zwei- und mehrsprachig aufwachsender Mädchen und Jungen wahr und nutzt sie.

Maßnahmen zur Förderung von Sprache(n) und Mehrsprachigkeit in den Südtiroler Schulen müssen in einen rechtlichen Rahmen gebettet sein, der einerseits ihre Umsetzung garantiert und andererseits die Ein- und Anbindung der unterschiedlichen schulischen Einrichtungen sichert, ohne dabei die Bedürfnisse des Einzelnen und der Gemeinschaft aus den Augen zu verlieren. In Anlehnung an die relevanten Beschlüsse der Landesregierung und an die geltenden gesetzlichen Grundlagen verankert die Schule den Schwerpunkt Sprache(n) und Mehrsprachigkeit in ihrem Dreijahresplan.

Autonomiestatut Artikel 19

Landesgesetz vom 16. Juli 2008, Nr. 5

Allgemeine Ausrichtung des Bildungssystems (Externer Link)

Beschluss der Landesregierung vom 19. Jänner 2009, Nr. 81

Im Besonderen ist in den RRL verankert, dass den autonomen Schulen ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt wird, didaktisch innovative Projekte des Sprachenlernens durchzuführen, die die funktionale Mehrsprachigkeit zum Ziel haben (die RRL bedeuten für den Sprachenunterricht an den Schulen daher einen Paradigmenwechsel von der Vielsprachigkeit zur Mehrsprachigkeit, vom getrennten Nebeneinander der Sprachen zum Miteinander der Sprachen).

Landesgesetz vom 24. September 2010, Nr. 11

Allgemeine Bestimmungen zur Oberstufe (Externer Link)

Das Gesetz beschreibt das Bildungsprofil der Absolvent*innen der Oberstufe mit Kompetenzen in mehreren Sprachen als strategisches Element, um zur kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens beizutragen. 
Ebenso sieht das Gesetz die Zusammenarbeit der Schulen – auch unterschiedlicher Unterrichtssprache – zur Umsetzung gemeinsamer Projekte vor, was der Unterstützung der Durchlässigkeit, der Weiterentwicklung und Aufwertung des Bildungsangebots dienen soll.  
Dem Erlernen der zweiten Sprache und zusätzlicher Fremdsprachen wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Beschluss der Landesregierung vom 13. Dezember 2010, Nr. 2040 und Beschluss der Landesregierung vom 10. April 2012, Nr. 533

Rahmenrichtlinien Gymnasien und Fachoberschulen:
Die Anlage A des Beschlusses 2010/2040 enthält Kriterien zur Einführung innovativer didaktischer Vorhaben. Diese
  • fördern die Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler in allen Sprachenfächern und setzen die Schulung der Ausdrucksfähigkeit der Lernenden in den Mittelpunkt,  wenden auch Methoden des natürlichen Spracherwerbs an, ohne das Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts laut Artikel 19 des Autonomiestatuts zu verletzen,
  • beziehen alle Fächer mit ihrem spezifischen Beitrag zur Sprachförderung ein und nutzen fächerübergreifende Angebote und den Wahlbereich zum gezielten Sprachunterricht,
  • setzen auf die enge Zusammenarbeit der Lehrpersonen der Sprachenfächer im Sinne der gemeinsamen Sprachendidaktik,
  • als mögliches Lern-, Reflexions- und Dokumentationsinstrument wird das Europäische Sprachenportfolio eingesetzt.

Beschluss der Landesregierung vom 8. Juli 2013, Nr. 1034 und Beschluss der Landesregierung vom 12. Januar 2016, Nr. 18

  • ermöglicht Maßnahmen zur Förderung der Mehrsprachigkeit. Er beinhaltet 
    • die Kriterien und Richtlinien, welche für die Durchführung von Sprachprojekten und für die Regelung des Unterrichts von Sachfächern in Italienisch und in Fremdsprachen mit der CLIL-Methodik Anwendung finden, sowie
    • die Durchführung von Pilotprojekten an vierten und/oder fünften Klassen der deutschsprachigen Oberschulen mit zeitbegrenztem Unterricht von Nichtsprachenfächern in Italienisch, Englisch und/oder einer anderen Fremdsprache mit der CLIL-Methodik.

Beschluss der Landesregierung vom 17. November 2015, Nr. 1319

enthält die Regelung des Projektes “Un anno in L2 / Zweitsprachjahr” in Bezug auf den zeitweiligen Besuch der Oberschüler*innen einer anderssprachigen Oberschule mit gleicher Ausrichtung auf Landesebene.

Beschluss der Landesregierung vom 1. Dezember 2015, Nr. 1383

  • „Die deutsche Schule in Südtirol stellt sich bewusst der Herausforderung, die Förderung der Mehrsprachigkeit bei allen Bürgerinnen und Bürgern als eines ihrer vorrangigen Ziele zu setzen.“
  • „Mehrsprachigkeit wird dabei als die Fähigkeit eines Menschen verstanden, mehr als eine Sprache zu sprechen, zu lesen, zu verstehen und zu schreiben, ohne jedoch dem Anspruch zu verfallen, alle Sprachen perfekt zu beherrschen. Mehrsprachigkeit ist in der Welt keine Ausnahme, sondern die Norm. Mehrsprachigkeit wird als Reichtum angesehen, als kultureller Schatz und als Chance für vielfältige Kommunikation. Mehrsprachigkeit ist keine Gefahr für die Erstsprache, wenn der Erstsprache die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Mehrere Sprachen befruchten sich gegenseitig und können das Sprachbewusstsein erhöhen.“

Beschluss der Landesregierung vom 7. April 2020, Nr. 244

Gesellschaftliche Bildung (Externer Link)
In Anlage A zu diesem Beschluss zur Abänderung der Rahmenrichtlinien für die Unter- und Oberstufe sind die kompetenzorientierten Bildungsziele zu acht Bereichen der Gesellschaftlichen Bildung angeführt. Der Bereich Kulturbewusstsein enthält Kompetenzen, die die Mehrsprachigkeit betreffen.

Beschluss der Landesregierung vom 2. September 2020, Nr. 669

Einrichtung der Sprachenzentren: (Externer Link)
enthält das Konzept für die Einrichtung und Führung von sprachgruppenübergreifenden Beratungsstellen zur Förderung der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Was bedeutet das für die Schule?

Auf der Basis dieser gesetzlichen Grundlagen verankert die Schule den Schwerpunkt Sprache(n) und Mehrsprachigkeit in ihrem Dreijahresplan.
Für eine umfassende Umsetzung von Sprache(n) und Mehrsprachigkeit als Schwerpunkt sieht sie einen zeitlichen Rahmen vor, der es allen Beteiligten erlaubt, sich mit den unterschiedlichen damit verbundenen Thematiken eingehend zu befassen, sich dahingehend zu professionalisieren und Praxiserfahrungen zu sammeln. Dadurch werden sich die Lehrpersonen über die für die jeweilige Schule spezifischen Bedürfnisse der Lernenden bewusst und können, begleitet von einem entsprechenden Organisationsentwicklungsprozess, die jeweiligen Fachcurricula durch mehrsprachige, Fächer und Sprachen übergreifende Kompetenzen und Ziele ergänzen.

Die Rolle der Schulführung

  • Sie klärt und definiert den rechtlichen Rahmen als Sicherheit für die Lehrpersonen.
  • Sie arbeitet ausgehend von den zentralen Richtlinien der Bildungsdirektion ein klares Konzept von Mehrsprachigkeit aus.
  • Sie verankert das Konzept im Dreijahresplan.
  • Sie veranlasst Anpassungen von Fach- und Schulcurricula, die für alle Beteiligten verbindlich sind.
  • Sie sieht Stunden für Lehrer*innenfortbildung auf Schulebene vor und setzt ein Minimum an verpflichtenden themenrelevanten Fortbildungsstunden für das Lehrer*innenkollegium fest.
  • Sie kommuniziert den rechtlichen Rahmen und das Konzept nach außen, d. h. an die Eltern, Familien und an die Öffentlichkeit.