Geschichte der Wildbachverbauung

Zwar ist die moderne Wildbachverbauung in Südtirol erst rund 66 Jahre alt, vor den von Wildbächen ausgehenden Gefahren hat man sich aber seit jeher zu schützen versucht. So wurden nicht nur Siedlungsplätze daraufhin ausgewählt, möglichst vor ausbrechenden Bächen und Überschwemmungen sicher zu sein, sondern es wurde schon früh auch damit begonnen, einzelne Bäche zu sichern. So stammt die wohl älteste Südtiroler Uferschutzmauer aus dem Jahr 1239. Sie wurde längs der Talfer in Bozen errichtet und ist – nach teilweiser Zerstörung, Wiederaufbau und regelmäßiger Instandsetzung – noch heute funktionstüchtig. Die Landeshauptstadt wird also immer noch (aber selbstverständlich nicht nur) von einer fast 800 Jahre alten Mauer geschützt. Und auch Schlanders oder Sterzing können sich bis zum heutigen Tage auf ähnlich alte Ufermauern verlassen.

Die Anfänge

Etwas jüngeren Datums ist Südtirols älteste Rückhaltesperre. Sie steht unterhalb der Brunnenburg und sollte das Siedlungsgebiet von Algund vor dem schützen, was der Gratscherbach nach heftigen Niederschlägen Richtung Tal befördert hat. Die historische Rückhaltesperre besteht aus zwei übereinander angebrachten Zyklopenmauern, an deren Fuß eine in einen Stein gravierte Jahreszahl auf das Entstehungsjahr des Bauwerkes verweist: 1612.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Schutzbauten stetig verbessert. So entstanden im Weißgraben, im Spitalgraben und in der Sturmlahn in Brixen erste Sperrenstaffelungen aus Trockenmauerwerk, während man sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch an große, ehrgeizige Schutzbauwerke herangewagt hat. Aus dem Jahr 1745 stammt etwa eine topographische Karte des oberen Ridnauntals, auf der eine Sperre auf 1700 Metern Meereshöhe verzeichnet ist. Sie sollte das Tal bei einem Ausbruch des darüber liegenden Gletschersees schützen. Zum selben Zweck hat man von 1891 bis 1893 in Martell eine Staumauer gebaut, die – auch dank einer sorgfältigen Restaurierung durch den Sonderbetrieb für Bodenschutz, Wildbach- und Lawinenverbauung im Jahr 1994 – immer noch funktionstüchtig ist.

Die Pioniere

Dass man im 18. und 19. Jahrhundert auch große Schutzbauwerke angehen konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass in dieser Zeit auch die erste theoretische Forschung zum Schutz vor den Gewalten des Wassers einsetzt. In Südtirol sind es vor allem der Bozner Franz von Zallinger, Georg von Aretin und der gebürtige Grauner Josef Duile, die der Verbauung von Wasserläufen einen ganz neuen theoretischen Unterbau geben. Den Grundstein dafür legt Franz von Zallinger (1743-1828) in seiner „Abhandlung von den Überschwemmungen in Tirol“, in der er den Ursachen von Überschwemmungen in Gebirgsländern auf den Grund geht und daraus effiziente Verbauungstechniken entwickelt.

Georg von Aretin war dagegen ab 1806 Straßen- und Wasserbauinspektor in Tirol. Schon ein Jahr später folgt ein für ihn prägendes Ereignis: das verheerende Hochwasser von 1807. Dieses bildet die Grundlage seines Werks mit dem etwas sperrigen Titel „Über Bergfälle und die Mittel denselben vorzubeugen oder wenigstens ihre Schädlichkeit zu vermindern“. In diesem unterstreicht er die Notwendigkeit technischer und forstwirtschaftlicher Maßnahmen entlang der Bäche in Tirol und verweist auch auf die Bedeutung einer zentralen Koordinierung aller Arbeiten.

Josef Duile (1776-1863), in seiner Karriere unter anderem königlich bayrischer Straßen- und Wasserbauinspektor in Bozen und stellvertretender Landesbaudirektor in Innsbruck, begann schließlich als erster, die mit der Wildbachverbauung verknüpften Probleme wissenschaftlich zu untersuchen und bauliche Maßnahmen an den wissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten. Sein Werk „Über die Verbauung der Wildbäche in Gebirgsländern, vorzugsweise in der Provinz Tirol und Vorarlberg“ gilt als bahnbrechend, Duile selbst als Begründer und Altmeister der Wildbachverbauung in Südtirol.

Die institutionelle Wildbachverbauung

Es ist die Hochwasserkatastrophe vom 16. und 17. September 1882, die zum Ursprung der modernen Wildbachverbauung wurde. Als eine ihrer Folgen erließ die Donaumonarchie 1883 nämlich eines der ersten Gesetze Europas, mit denen die Wildbachverbauung geregelt wurde. Zugleich hob man das „K.u.k. Amt für Wildbachverbauung“ aus der Taufe, das für eine Koordination aller Schutzmaßnahmen sorgen sollte. In Südtirol bestimmt das k.u.k.-Amt bis zum Ende des Ersten Weltkrieges die Geschicke der Wildbachverbauung. Nach dem Anschluss an Italien 1919 übernahmen dann das italienische Forstministerium und jenes für öffentliche Arbeiten die Regie. Dass gleich zwei Ministerien für die Wildbachverbauung verantwortlich zeichneten, machte die Sache allerdings nicht einfacher: Zuständigkeitsfragen und Zweigleisigkeiten lähmten die Arbeit weitgehend.

Die Geburtsstunde der heutigen institutionellen Wildbachverbauung schlägt 1951, und zwar mit der Gründung des Amtes für Wildbachverbauung in der „Autonomen Region Trentino-Tiroler Etschland“. Das Amt ist damals noch eine Sektion der Forstwirtschaft, wird aber 1971 zur Sonderverwaltung erklärt und mit zahlreichen Befugnissen und neuen Aufgaben ausgestattet. Weil die Zuständigkeit für die Wildbachverbauung mit dem Zweiten Autonomiestatut von 1972 von der Region an das Land übergeht, wird auch das zuständige Amt eines des Landes. Der Südtiroler Landtag vollzieht diesen Übergang mit dem Landesgesetz vom 12. Juli 1975, Nr. 35 (Externer Link) nach, mit dem der Sonderbetrieb als Landesinstitution geschaffen wird. Mit diesem Gesetz übernimmt der Sonderbetrieb über die Zuständigkeiten für Schutzmaßnahmen hinaus auch noch Aufgaben im Bereich des Wasserbaus und der Verwaltung des öffentlichen Wassergutes.

Über die Jahre entwickeln sich der Sonderbetrieb für Bodenschutz, Wildbach- und Lawinenverbauung sowie die Landesabteilung Wasserschutzbauten immer weiter. In den 1980er- und 1990er-Jahren setzt zudem ein Paradigmenwechsel ein. Der Schutz vor Naturgefahren wie Hochwasser, Erdrutschen oder Lawinen ist seitdem nicht mehr nur einer, der durch entsprechende Verbauungsmaßnahmen zu erreichen versucht wird. Vielmehr erweitert sich die Palette um ingenieurbiologische Arbeiten, um Maßnahmen zur Aufwertung der Bach- und Flussläufe, um ökologische Anliegen und die Notwendigkeit, die Bevölkerung rundum zu informieren und in den Entscheidungsprozess einzubinden. Zudem übernimmt das Land im Jahr 2000 auch die volle Zuständigkeit für die beiden größten Flüsse im Land, für Etsch und Eisack also – auch sie sorgt für ein Mehr an Arbeit und Verantwortung.

Den (vorläufig) letzten Schritt in der Entwicklung der institutionellen Wildbachverbauung setzt die Südtiroler Landesregierung mit der Entscheidung, den gesamten Bereich des Bevölkerungsschutzes, also Wasserschutzbauten und Zivilschutz gemeinsam mit der Berufsfeuerwehr unter einem Dach zu vereinen. Die daraus entstandene Agentur für Bevölkerungsschutz (Externer Link) ist seit 1. Januar 2016 aktiv.