Problematik

Wie eingangs erwähnt, hängen die Naturgefahren in Südtirol sowie die Risiken, die von ihnen ausgehen, sehr stark mit der Ausprägung der Landschaft zusammen, vor allem mit der Tatsache, dass Südtirol ein Gebirgsland ist. In einem solchen ist der nutzbare Grund und Boden knapp, gebaut werden muss mitunter auch dort, wo die Natur nicht nur Kraft-, Lebens- und Wirtschaftsquelle ist, sondern durchaus auch zur Bedrohung werden kann.

Seit Menschengedenken gehört die Gefahr, die in Südtirols Winter von Lawinen (Externer Link) ausgeht, zu den großen Bedrohungen der Menschen in unserem Land. Hatte man sich früher noch durch Prozessionen und Votivbilder davor zu schützen versucht, rückt man der Lawinengefahr seit etwa sechs Jahrzehnten durch systematische Lawinenverbauungsarbeiten zu Leibe. Mittlerweile hat man am Alpenhauptkamm, aber auch im Ortlergebiet, in Ulten und den Dolomiten mehr als 70 Kilometer Stützverbauungswerke angebracht.

Als erste Lawinenverbauungen kamen in Südtirol Steinterrassen mit einem Lawinenzaun zum Einsatz. Was gut gemeint war, war schlecht getroffen: Weil es an Know-how fehlte, wurde bei den Verbauungsarbeiten oft die schützende Grasnarbe an den Lawinenhängen zerstört, was im Sommer zu häufigeren Erdrutschen führte. Die Entwicklung musste demnach danach trachten, einerseits die Stabilität der Verbauungen (ab den 1960er-Jahren vor allem Schneebrücken und -netze) zu erhöhen, andererseits die Grabungsarbeiten auf ein Minimum zu beschränken, um das sensible Gleichgewicht im Hochgebirge nicht zu stören. Heute entfallen Grabungsarbeiten fast vollständig, auch werden statt der relativ auffälligen Schneebrücken Dreiecksnetze mit Pendelstützen verwendet, die besser der Landschaft angepasst und kaum noch einsichtig sind.

Mit solchen Verbauungen werden vor allem die Anrissgebiete der Lawinen versehen, um das Abgehen von Lawinen bestmöglich zu verhindern. Wo dies nicht möglich ist, kommen zum Schutz von Gebäuden, Skipisten oder Aufstiegsanlagen auch schon einmal Lawinendämme zum Einsatz. Letztendlich überlässt man den Schutz von Menschen, Gebäuden und Infrastruktur allerdings nicht der Lawinenverbauung allein, sondern vor allem dem Know-how der Lawinenkommissionen vor Ort. Sie sind es, die Gefahrensituationen abschätzen und gezielte Schutzmaßnahmen ergreifen.

Nirgends zeigt sich dies so deutlich wie bei der Hochwassergefahr, die von Bächen und Flüssen in Südtirol ausgeht. Schließlich sind Siedlungen in erster Linie an den Ufern von Wasserläufen entstanden, die für ausreichende Wasserverfügbarkeit gesorgt und darüber hinaus Schutz und Transportmöglichkeiten geboten haben. Vor allem im 19. Jahrhundert wurden Südtirols Bäche und Flüsse systematisch begradigt und Sümpfe trockengelegt. Damit wurde neues Bau- und Kulturland gewonnen, das im Laufe der Jahre für die Errichtung von Wohnhäuser und Gewerbegebieten, Straßen und Infrastruktur genutzt worden ist. So wurde die Schadensanfälligkeit bei Hochwasser und Überschwemmungen enorm erhöht.

Wenn sich Gesellschaft und Landschaft wandeln (und sich mit ihnen auch Technik und Know-how entwickeln), muss sich auch die Risikovorsorge mit ihnen wandeln, um weiterhin höchstmögliche Sicherheit bieten zu können. Aus einem Risikomanagement-Ansatz, der in erster Linie aus Schutzbauten und Zivilschutzmaßnahmen im Notfall bestand, wurde ein integrales Hochwassermanagement, das bei der Pflege der Gewässer beginnt, ökologischen Anforderungen Rechnung trägt, Verbauungen vorsieht, wo sie benötigt werden, und auch Information und Sensibilisierung als wertvolle Vorbeugemaßnahmen anerkennt.

Entstanden sind so umfassende Einzugsgebiets- sowie alle sechs Jahre zu erneuernde Hochwasserrisikomanagementpläne, die alle relevanten Informationen zum Hochwasserschutz umfassen und vorbeugende Maßnahmen (also auch Schutzmaßnahmen) ebenso festschreiben, wie Maßnahmen im Ernstfall. Darüber hinaus sorgt die Deichverteidigung dafür, dass alle Dämme und Deiche stets in Ordnung gehalten werden und so im Falle eines Hochwassers ihre volle Schutzfunktion entfalten können. Und schließlich gibt es innerhalb der Landesagentur für Bevölkerungsschutz den Hochwasserdienst, der rund um die Uhr erreichbar ist und folgende Aufgaben übernimmt:

  • die Hochwasserlage wird bewertet
  • die Aufmerksamkeitsstufe – falls notwendig – ausgerufen
  • die Hochwasserzentrale wird besetzt, alle notwendigen Mitarbeiter werden alarmiert.

In regelmäßigen Hochwasserübungen trainieren alle Einsatzkräfte zudem das Verhalten im Ernstfall, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.

Neben Hochwasser gelten in Südtirol Muren, also schnell fließende Schlamm- und Gesteinsströme, als eine zweite ernstzunehmende Naturgefahr. Ihr Entstehen wird durch die relativ junge Geomorphologie Südtirols erleichtert, die dafür sorgt, dass bei heftigen Niederschlägen riesige Materialmengen in Bewegung geraten. Meist sind es Erd- und Schlammmassen, allerdings entwickeln Muren derartige Kräfte, dass sie auch Findlinge in der Größe eines Einfamilienhauses in Bewegung setzen können. Der Gewalt abgehender Muren halten oft auch Querwerke und andere Schutzbauten nicht stand.

Trotzdem ist die Verbauung Murgang-gefährdeter Hänge eine wichtige Maßnahme, die zum Schutz vor Muren ergriffen wird. Geröllsperren und Rückhaltedämme können das abgehende Material zum Stillstand bringen, Ablenkbauwerke es zumindest von Gebäuden, Straßen oder wichtigen Bauwerken wie Staudämmen fernhalten.

Bereits einen Schritt vorher setzt eine effiziente Gefahrenzonenplanung an. Im Zuge der Erarbeitung dieser Pläne wird die Gefahr abgehender Muren analysiert, es werden entsprechende Gefahrenzonen definiert und darin Baubeschränkungen oder -einschränkungen vorgesehen. So fließt diese Naturgefahr – wie die relevanten anderen auch – bereits in die Raumplanung auf Gemeindeebene ein und minimiert das Risiko.

Auch Steinschlag ist in einem von Fels und Stein dominierten Land wie Südtirol eine stetige Gefahr. Ausgelöst wird Steinschlag in allererster Linie durch Erosion, aber auch Regen- und Schmelzwasser, Eis und auftauender Permafrost können Steinschlag auslösen. Im Hochgebirge ist der Steinschlag in erster Linie eine Gefahr für Wanderer, Bergsteiger und Kletterer, im bewohnten Gebiet, vor allem aber oberhalb von Bergstraßen stellt er eine ernstzunehmende Gefahr für größere Menschenmengen dar.

Um diese Gefahr zu minimieren, werden steinschlaggefährdete Hänge oberhalb von Südtirols Straßennetz mit Sicherungsnetzen und Steinschlagdämmen verbaut. Auch gefährdete Wohnhäuser werden entsprechend gesichert, damit abgehende Steine weder für die dort lebenden Menschen noch für Tiere oder Güter eine Gefahr darstellen kann.

Gehen große Mengen an Steinen ab, spricht man von einem Felssturz. Felsstürze sind vor allem in den geologisch fragilen Dolomiten ein häufig auftretendes Phänomen, sind dort aber zumeist auf unbewohntes und wirtschaftlich ungenutztes Gebiet beschränkt.

Gleiten große Gesteins- und/oder Erdmassen ab, spricht man von einem Erdrutsch (Externer Link). Der wohl spektakulärste Erdrutsch der letzten Jahre ging im Dezember 2012 in Abtei (Externer Link) ab, als sich zwischen St. Leonhard und St. Kassian eine Fläche von rund 40 Hektar in Bewegung setzte. Gegen solch gewaltige Erdrutsche kann kaum etwas unternommen werden, wo immer möglich, werden gefährdete Hänge aber entwässert. Unter dem Heiligkreuzkofel im Gadertal etwa ist bereits seit Jahren ein ganzer Hang in Bewegung, Drainagestollen sollen diesen Kriechhang zum Stillstand bringen. Zudem werden solche Hänge laufend beobachtet und vermessen, um Veränderungen der Lage schnellstmöglich feststellen und geeignete Schutzmaßnahmen setzen zu können.