Autonome Provinz Bozen - Südtirol | |
19. Amt für Arbeit |
E. EINIGE
HINWEISE FÜR DIE ARBEITSMARKTPOLITIK
Wichtigstes Ergebnis der obigen Ausführungen für die
Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik ist die Beschleunigung des
Wandels und die Unvorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung.
Die wichtigste Schlußfolgerung ist deshalb, daß sowohl der
Erwerbstätige als auch die Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik
flexibel sein müssen, um rasch auf neue Entwicklungen reagieren
zu können. Die Ausbildung, die wegen des raschen Wandels in der
Erstausbildung nicht rechtzeitig reagieren kann muß deshalb
durch ein flexibles Weiterbildungs-System ergänzt werden.
1. Mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt
Arbeitnehmer müssen selbständiger und flexibler werden. Daher
muß die Anpassungsfähigkeit und Mobilität erhalten und
gestärkt werden. Der einzelne wird häufiger Stelle,
Arbeitsplatz, Beruf und auch Ort wechseln müssen.
Leiharbeits-Unternehmen sollten eher gefördert als gehemmt
werden, weil sie eine grössere Flexibilität des
Arbeitseinsatzes ermöglichen.
Grössere Flexibilität der Arbeitszeit ist im
Dienstleistungsbereich teilweise durch vermehrte Gleitzeit und
Teilzeitarbeitszeit möglich. Eine innovative Methode für die
Flexibilität sind "Arbeitszeitkonten", auf denen die
geleistete Arbeit gutgeschrieben wird und deren Überschuss-Saldo
als Freizeit zur Verfügung steht.
Das Pensionsantrittsalter könnte in "gleitender" Form
mit entsprechenden Ab- und Zuschlägen angetreten werden. Hier
sind viele verschiedene Möglichkeiten einer Flexibilisierung
denkbar.
Auch durch Telearbeit (EDV-Arbeiten zuhause) liesse sich diese
Flexibilisierung erzielen, allerdings ist heute durch die
weltweite Vernetzung schon eine Verlagerung der Telearbeit in
Billiglohn-Länder, wie Indien, zu beobachten. Diese Tendenz
könnte aber durch die Unterstützung von Tele-Arbeitsplätzen,
z.B. Tele-Stuben in Dörfern, wie sie in Österreich von Abg. Dr.
Lanner propagiert werden, gefördert werden. Dadurch wäre ein
Arbeitsangebot auch für Frauen, Teilzeitbeschäftigten und
anderen Gruppen im ländlichen Raum möglich.
Weil die Bereiche Landwirtschaft, Tourismus und Bauwirtschaft
voraussichtlich nicht mehr eine so grosse quantitative Bedeutung
haben werden, wird die Saisonschwankung des Gesamtbedarfs relativ
abnehmen. Auch innerhalb des Tourismus könnte die
Saisonschwankung abnehmen (Wandel der Gästestruktur) und damit
eine die Attraktivität der Arbeitsplätze minderndes Element
abbauen.
Bei der Bauwirtschaft wird es eher die Bauindustrie treffen, bei
der Landwirtschaft könnten durch eine Neuinterpretation ihrer
Rolle sogar Arbeitsplätze enstehen ("Urlaub auf dem
Bauernhof"). Für den Bereich Tourismus als Standbein Nr. 1
für Südtirol sind Formen der Cluster-Bildung innerhalb des
Sektors, vor allem aber auch branchenübergreifende, von enormer
Wichtigkeit. Dabei ist vermehrt gefragt, das neue, in sich
widersprüchliche Verhalten des Touristen als Vorteil zu erkennen
und zu nutzen.
2. Unternehmerische Flexibilität
Der raschere Wandel erfordert mehr unternehmerisches Handeln,
d.h. rasches Erkennen der neuen Entwicklung, Eigenintiative und
kreatives Reagieren auf die neue Situation. Diese Anforderungen
gelten nicht nur für die Unternehmer im eigentlichen Sinn,
sondern auch für Manager, Facharbeiter und letztlich für alle
Erwerbstätigen. Daher sollten diese Fähigkeiten - so weit dies
mögich ist - auch in der Aus- und Weiterbildung verstärkt
aufgenommen werden. Das was gefragt ist, sind unternehmerisch
denkende und handelnde Mitarbeiter.
In mehreren Sektoren, insbesondere im Dienstleistungsbereich
(einschliesslich des Tourismus) und Gewerbe (Handwerk) werden
durch den rascheren Wandel und die Einsatzmöglichkeiten der EDV
besonders kleine und mittlere Unternehmen die neuen Chancen
wahrnehmen können. Es werden also mehr kleine und mittlere
Unternehmen gegründet werden können, dafür auch mehr zugrunde
gehen. Um die Gründung zu erleichtern, sollten
a) bei der Ausbildung, auch schon im Lehrberuf, vermehrt
unternehmerische Qualifikationen vermittelt werden, da es
vermehrt zu Unternehmensgründungen auch durch zuerst
unselbständig Tätige kommen wird. Freilich ist es schwer, im
sekundären und auch noch im post-sekundären (akademischen)
Bereich diese Qualifikationen zu vermitteln - wie strategische
Unternehmensführung, Personalführung, Marketing - wenn noch
keine Praxis vorhanden ist. Deshalb sollte
b) ein spezielles Weiterbildungsangebot für Berufstätige
geschaffen werden, das Unselbständigen die für die
Selbständigkeit notwendigen Fähigkeiten vermitteln soll.
c) Unternehmensgründungen aber auch Unternehmensschliessungen
erleichtert und unterstützt werden. Der Übergang vom
Unselbständigen zum Selbständigen und umgekehrt sollte
erleichtert werden. Dazu wären Verbesserungen des
Risiko-Kapitalmarktes notwendig, wie die Bildung von
Venture-Kapital-Gesellschaften, Gründungen von
Technologie-Parks, Abbau von Regulierungen, Hilfestellung und
Beschleunigung des Verfahrens bei den verbliebenen, notwendigen
Regulierungen u.a.
Freilich besteht hier - wie bereits erwähnt - die Gefahr, daß
auswärtige Unternehmen kurzfristig nach Südtirol kommen, um
vorübergehende Vorteile, wie z.B. Förderungen, mitzunehmen und
dann wieder das Land verlassen.
Ein Problem, das in Südtirol zwar noch nicht erkennbar ist, aber
besonders in Deutschland gravierend ist, ist der Mangel an
genügend Lehrstellen. Hier wäre es angebracht, bereits jetzt
über Formen und Wege zu denken, um dann rechtzeitig mit
geeigneten Maßnahmen eingreifen zu können.
3. Mehr Kompetenzen für Wirtschafts-
und Arbeitsmarktpolitik in Südtirol
Grundsätzlich wäre zu fordern, daß die Südtiroler
Arbeitsmarktpolitik noch über die kürzlich neu übertragenen
Kompetenzen hinaus selbständiger gestaltet werden sollte, um auf
die spezifischen Entwicklungen des Landes besser und rascher
reagieren zu können. Durch die Übernahme der gesamten
Kompetenzen der Arbeitsmarktpolitik könnten vielfach neue
Lösungen für die spezifischen Probleme des Landes entwickelt
und Einsparungen erreicht werden. Derzeit wird Südtirol für die
ineffiziente Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik Italiens, vor
allem auch des Südens, mitbelastet.
In vermehrtem Ausmaß gilt dies für die Bildungspolitik. Eine
selbständig gestaltete Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik zählt
heute zu den wichtigsten Faktoren der Verbesserung der
"Standort-Qualität" einer Region und ist damit für
die wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche Zukunft des
Landes und der in Südtirol Erwerbstätigen entscheidend.
Als Grundlage für eine eigenständigere Arbeitsmarkt- und
Bildungspolitik wären grundlegende Evaluationen des
gegenwärtigen Systems (etwa in der Art der OECD-Berichte über
das Bildungssystem einzelner Länder, die von internationalen
Experten der Bildungsökonomie verfasst werden) zu empfehlen.
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