Archivale des Monats

Oktober 2011: Dr. Joseph Streiter: Bürgermeister von Bozen 1861–1870

Joseph Streiter wurde am 4. Juli 1804 in Bozen als einziges Kind von Bernhard Dominikus Streiter und Louise von Tschiderer geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters 1809 stand die Erziehung des Kindes unter der strengen Aufsicht des Onkels Johann Nepomuk von Tschiderer, des Fürstbischofs von Trient.
Seine Schuljahre am Franziskanergymnasium in Bozen und später am Benediktinergymnasium in Meran empfand Joseph Streiter als geistige Gefängnisse, in denen jegliche eigenständige Entwicklung der Knaben mit aller Härte unterdrückt wurde. Diese frühen Erfahrungen trugen sicher dazu bei, dass sich Streiter in den Jahren seiner politischen Tätigkeit auf die Seite der liberalen Partei stellte.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck heiratete er 1827 Johanna Holer, die Tochter des Innsbrucker Stadtarztes Dr. Anton Holer. Der Ehe entsprangen sechs Kinder. Johanna Holer starb bereits 1837 an Typhus, worauf Joseph Streiter in zweiter Ehe Anna von Kapeller, eine Jugendfreundin Johannas, zur Frau nahm.
24 Jahre lang übte Streiter am Bozner Collegialgericht den Beruf eines Advokaten aus.
Streiters große Liebe aber galt der deutschen Literatur. Er verfasste selbst zahlreiche Gedichte und fungierte zeitweise als Herausgeber eines literarischen Almanachs. Seine Bibliothek umfasste 1850 stattliche 3600 Bände.
In den Jahren 1850 bis 1860 war Dr. Joseph Streiter Vorsteher der damals noch nicht zu Bozen gehörigen Landgemeinde Zwölfmalgreien. Am 12. April 1861 wählte ihn der Bozner Gemeindeausschuss zum neuen Bürgermeister von Bozen.
In Streiters erste Amtsperiode fällt die glanzvolle Einweihung der ersten öffentlichen Gasbeleuchtung der Stadt Bozen am 10. November 1861. Dass Streiter für diese Feierlichkeiten gerade den Geburtstag Martin Luthers wählte, brachte ihm heftige Angriffe der klerikalen Kreise ein. Nichtsdestotrotz wurde Streiter sowohl von der Bevölkerung als auch vom gehobenen Bürgertum der Stadt sehr geschätzt. Im Oktober 1864 wurde Streiter nach dreijähriger Tätigkeit in seinem Amt bestätigt. Im vorliegenden Schreiben teilt der Vizebürgermeister Franz Tschurtschenthaler Joseph Streiter seine erneute Wiederwahl zum Bürgermeister von Bozen mit.
Nach Ablauf der dritten Amtsperiode verzichtete Streiter 1870 auf eine erneute Kandidatur und ließ sich stattdessen 1870-1872 als Abgesandter der Stadt Bozen in den Tiroler Landtag in Innsbruck wählen.
Als Politiker gehörte Streiter zum Lager der fortschrittlichen Liberalen, die mit den konservativen Klerikalen und Ultramontanisten über mehrere Jahrzehnte hinweg den sogenannten „Kulturkampf“ ausfochten, einen erbitterten Krieg um die Stellung von Religion und Kirche im modernen Staatsgebilde.
Als Joseph Streiter am 17. Juli 1873 in seinem Ansitz Unterpayersberg einem längeren Leiden erlag, war der Kulturkampf in vollem Gange und sollte die Entwicklung des Landes Tirol noch bis Ende des 19. Jahrhunderts lähmen.

Evi Pechlaner

GS