Archivale des Monats

März 2012: Das Testament der Wilhelmine Kofler-Grätzl, 1866

Archiv des Kofler'schen Kindergartens in Bozen

Der erste Kindergarten im südlichen Teil Tirols, die „Kleinkinderbewahranstalt der Stadt Bozen“, öffnete am 4. November 1847 seine Pforten. In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entstand – zunächst in den industrialisierten Ländern Europas – durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen aus den unteren sozialen Schichten ein erhöhter Bedarf an außerhäuslicher Kinderbetreuung. Diese Aufgabe übernahmen vor allem bürgerliche Frauen und Frauenvereine, die sogenannte Bewahranstalten gründeten, führten und/oder durch finanzielle Zuwendungen unterstützten. In Bozen geschah dies durch ein fünfzehnköpfiges Komitee von bürgerlichen und adligen Frauen. Zunächst wurden lediglich Drei- bis Sechsjährige aus bedürftigen Familien aufgenommen, mit der Erweiterung um ein Waisenhaus betreute man auch elternlose Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres.
Der Sitz der Kleinkinderbewahranstalt befand sich ursprünglich in der Pfarrgasse (heute Eisackstraße), anschließend in der Maurergasse (Wangergasse), bis 1872 ein Haus in der Hintergasse (Vintlerstraße) bezogen werden konnte.
Regelmäßige Spenden und Legate von begüterten Bozner Bürgern und Bürgerinnen gewährleisteten in den ersten Jahren das Überleben der Anstalt. Das Archivale des Monats März bildet ein Auszug aus dem Testament der Wilhelmine Kofler geborene Grätzl: 1866 bedachte die wohlhabende Bürgerin sowohl den Kindergarten als auch den Bozner Armenfonds in Form einer Stiftung so großzügig, dass der Fortbestand beider Einrichtungen gesichert war.
In den Jahren des Faschismus versuchte die „Opera Nazionale di Assistenza all’Italia Redenta“ (O.N.A.I.R.), die deutschsprachigen Kindergärten der Provinz Bozen zu übernehmen. Einige Jahre gelang es dem Vorstandskomitee des Kindergartens, eine Übernahme zu verhindern, indem es eine Aufsicht durch die italienischen Behörden akzeptierte. 1932 aber wurden das Frauenkomitee und die Wilhelmine-von-Kofler-Grätzl’sche-Stiftung aufgelöst und das Vermögen auf Kindergarten und Armenfonds aufgeteilt. Um das Andenken an die Wohltäterin zu bewahren, wurde die Kinderbetreuungseinrichtung nach dem Weltkrieg in „Kofler’scher Kindergarten“ umbenannt.
Nach wie vor erfüllt diese Einrichtung den ihr ursprünglich zugedachten Zweck, nämlich die Betreuung von Vorschulkindern, auch wenn die Verwaltung mittlerweile vom Land Südtirol übernommen wurde. 2006 übergab die Kindergartendirektion dem Südtiroler Landesarchiv den gesamten Schriftgutbestand aus der Zeit von 1830 bis 1997, der ein interessantes Stück Bozner Geschichte dokumentiert.

Evi Pechlaner

GS