Archivale des Monats

Dezember 1807 – Neujahrswünsche und eine chiffrierte Botschaft

Selekt Wenzel Kahl, Nr. 30_1

Unruhige Zeiten erfordern die sichere Übermittlung von Botschaften, die nicht für das Auge des Feindes bestimmt sind. So verwundert es nicht, dass Wenzel Kahl, der 1755 in Wien geboren war und sich nach einigen Jahren als Verpflegamts-Adjunkt in Siebenbürgen als Wirt in Bruneck niedergelassen hatte, 1807 – Tirol gehörte bekanntlich seit 1806 zum Königreich Bayern und viele wünschten eine Rückkehr zum Kaisertum Österreich – von einem nicht genannten Freund aus Wien Neujahrswünsche und zugleich eine mittels Zahlencode chiffrierte Botschaft erhielt, mit der Bitte, diese zu entschlüsseln und persönlich weiterzuleiten. Die Praxis des Chiffrierens – also ein bestimmtes System, mit dem man einen Text verschlüsselt – ist vermutlich so alt wie die Schrift selbst. Aus vielen älteren Hochkulturen sind verschlüsselte Texte bekannt, auch Cäsar verfasste wichtige Botschaften in einer eigenen Geheimschrift, der sogenannten Cäsar-Chiffre, während man in den italienischen Stadtstaaten im Spätmittelalter bereits homophone Chiffren verwendete, bei denen einem Buchstaben jeweils mehrere Zeichenkombinationen entsprachen, um die Entschlüsselung zu erschweren. Die Botschaft an Wenzel Kahl ist dagegen in einer einfachen Zahlenchiffre verfasst, wobei zwei Ziffern für einen Buchstaben stehen, was für einen Kryptologen mit Hilfe der Häufigkeitsanalyse von Buchstaben vermutlich leicht zu knacken ist. In der Botschaft wird über Truppenverschiebungen und einen unmittelbar bevorstehenden Krieg Österreichs gegen Frankreich wie auch gegen das eben 1807 errichtete Herzogtum Warschau berichtet. In Wirklichkeit aber eröffnete das Kaisertum erst im April 1809 den Krieg gegen Frankreich und seine Verbündeten in Süddeutschland, auf der italienischen Halbinsel und in Polen, zeitgleich sollte auch der Aufstand in Tirol losbrechen. Wenzel Kahl stand seit 1805 in regem Kontakt mit den Kreisen um Erzherzog Johann. Durch seine in Geheimschrift erfolgte Nachrichtenübermittlung zwischen dem Erzherzog, dem Schützenmajor Martin Rochus Teimer, Andreas Hofer und dem Bozner Kaffeesieder Andreas Nessing ging Kahl in die Annalen der Tiroler Erhebung ein. Nach Niederschlagung des Aufstands floh Kahl nach Warasdin und weiter nach Wien, erst nach 1814, als Tirol wieder ein Teil des Kaisertums Österreich wurde, konnte Kahl nach Bruneck zurückkehren, wo er 1825 im Alter von 70 Jahren verstarb.

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