Ethik und Gesundheit

blauer Kreis mit drei stilisierten menschlichen Figuren und dem Schriftzug Landesethikkomitee in den drei Landessprachen

Die Gesundheitsethik befasst sich mit der Frage, wie eine ethisch verantwortbare Gestaltung des Gesundheitswesens aussehen kann. Im Bereich Gesundheit  und Medizin stellen sich vielfältige ethische Fragen, von gesellschaftspolitischen Themen, wie der Umgang mit ungeborenem Leben, die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin, das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten oder der Patientin, die Begleitung von Sterbenden bis hin zur Verteilung der Ressourcen in der Gesundheitsversorgung.

Beim Südtiroler Sanitätsbetrieb ist das Ethikkomitee für die klinische Forschung eingerichtet. Bevor klinische Erprobungen am Menschen durchgeführt werden, prüft das Komitee die wissenschaftliche Relevanz, die klinische Zweckmäßigkeit und die ethischen Aspekte jedes einzelnen Ansuchens. Für weiterführende Informationen besuchen Sie die Webseite des Sanitätsbetriebes - Ethikkomitee für die klinische Forschung.

Stellungnahme und Gedanken des Landesethikkomitees für eine gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen

Kritische Aspekte im Hinblick auf die Achtung des Solidaritätsprinzips

Eine gerechte Verteilung des zunächst wohl knappen COVID-19-Impfstoffs muss nicht nur transparent und auf Basis wissenschaftlicher Evidenz erfolgen, sondern auch ethische Aspekte berücksichtigen. Ziel muss es sein, die begrenzten Impfstoffressourcen effizient einzusetzen und damit möglichst viel Schaden durch COVID-19 zu verhindern. Solange der Impfstoff nur begrenzt verfügbar sein wird, bedarf es deshalb einer Priorisierung, die medizinische, ethische und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Bei einer Priorisierung des Impfstoffs wird festgelegt, welche Personengruppen zuerst und welche später geimpft werden. Auch wenn derzeit noch keine COVID-19-Impfstoffe verfügbar sind, bedarf es in der Zwischenzeit einer breiten Diskussion über die Zielsetzung der Impfung und darüber, welche Gruppen bei der Impfung vorrangig bedacht werden sollten.

1. Zielsetzungen

In erster Linie gilt es, Infektionen durch SARS-CoV-2, Hospitalisierungen und Todesfälle sowie die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Damit soll der Schaden durch die Pandemie möglichst weit reduziert werden, wobei hier neben den Auswirkungen auf die Gesundheit auch soziale und wirtschaftliche Probleme zu berücksichtigen sind. Am Ende sollten dann alle Bürgerinnen und Bürger Südtirols – möglichst zeitnah – einen gleichen und uneingeschränkten Zugang zur COVID-19-Impfung haben.

 2. Faire und gerechte Verteilung

Für eine faire und gerechte Verteilung eines künftigen Impfstoffes müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:

Eine demokratisch legitimierte Institution muss die Verteilung in einem transparenten und fairen Verfahren treffen. Wichtige Kriterien hierfür sind u.a. die Transparenz der Entscheidung und die Einbeziehung relevanter gesellschaftlicher Gruppen in die Entscheidungsfindung. Die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen und eventuellen Schaden muss berücksichtigt werden

Zudem sollten sich die Zuteilungsentscheidungen an klar definierten und ethisch gut begründeten Kriterien orientieren. Demnach sollten vorrangig diejenigen Personen geimpft werden, die das höchste Risiko für schwerwiegende Verläufe und Todesfälle durch COVID-19 haben und damit am schutzbedürftigsten sind. Damit soll der mögliche Nutzen der Impfung maximiert werden. Eine Simulationsstudie der Tiroler Privatuniversität UMIT zeigte, dass vorrangiges Impfen von älteren und vulnerablen Personen am effektivsten Hospitalisierungen und Todesfälle verhindert.

Eine Benachteiligung beim Zugang zum Impfstoff aufgrund vom sozio-ökonomischen Status oder Wohnort ist zu vermeiden.

 3. Priorisierte Personengruppen

Im Sinne der genannten Zielsetzungen sind folgende Personengruppen zu priorisieren:

-        Personen, die bei einer Infektion ein hohes Risiko für eine schwere Erkrankung oder für den Tod haben (v.a. Menschen mit hohem Lebensalter und relevanten Vorerkrankungen), insbesondere wenn sie in Senioren- oder Pflegeeinrichtungen leben;

-        Angehörige von Gesundheits- und Pflegeberufen, die für die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung und Pflege von Kranken und älteren Menschen entscheidend sind und die aufgrund ihrer Arbeit einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind und/oder engen Kontakt mit Risikopersonen haben;

-        Personen, die für die Aufrechterhaltung von öffentlichem Lebens und kritischer Infrastruktur wichtig sind (beispielsweise politische Entscheidungsträger und -trägerinnen, Feuerwehr, Polizei, Personal in den öffentlichen Verkehrsmitteln), die aufgrund ihrer Arbeit mit einem hohen Infektionsrisiko behaftet sind (beispielsweise durch den Kontakt mit vielen Menschen),

-        Menschen, die für die Versorgung der Bevölkerung zuständig (beispielsweise im Lebensmittelhandel) oder in der Schul- oder Kinderbetreuung tätig sind und berufsbedingt ein hohes Infektions- und Übertragungsrisiko haben (beispielsweise durch den Kontakt mit vielen Menschen).

Welche dieser genannten Personengruppen zu priorisieren ist, hängt nicht zuletzt von der aktuellen Infektions-Situation zu dem Zeitpunkt ab, da der Impfstoff zur Verfügung stehen wird, das heißt davon, ob die Infektionszahlen hoch oder niedrig sind bzw. wie ausgelastet das Gesundheitssystem ist und welche begründeten evidenzbasierten Prognosen es zu dem Zeitpunkt geben wird.

Neben dem Schutz der Risikopersonen ist die Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung sowie des öffentlichen Lebens und der Sicherheit zu gewährleisten.

Innerhalb der verschiedenen Gruppen muss dann noch einmal genauer festgelegt werden, wer zuerst Zugang zu einem Impfstoff erhalten soll. Neben dem Risiko für einen schwerwiegenden Verlauf spielt dabei das Infektionsrisiko eine entscheidende Rolle, dem jemand aufgrund seiner Arbeit oder seiner Lebenssituation ausgesetzt ist.

 4. Information der Bevölkerung

Die Bevölkerung muss auf die Sicherheit, Wirksamkeit und die ordnungsgemäße Durchführung der Impfung vertrauen können. Dies erfordert eine klare und verständliche Information der Bevölkerung. Es bedarf einer kontinuierlichen und transparenten Information zur Wirksamkeit der Impfung und möglicher Risiken.

Priorisierungsmaßnahmen sind verständlich zu erläutern und zu begründen, damit die Bevölkerung nachvollziehen kann, dass die Priorisierung eine gerechte und effiziente Nutzung der knappen Impfdosen gewährleistet. Dabei sollte auch deutlich gemacht werden, dass es bei der Priorisierung nur um die zeitliche Reihenfolge der Impfung geht und am Ende jeder Bürger und jede Bürgerin in Südtirol Zugang zu einer COVID-19-Impfung haben wird. Diejenigen, die nicht gleich in der ersten Phase geimpft werden, haben ein geringeres Risiko sich zu infizieren und schwer zu erkranken und können sich in der Zwischenzeit durch die bewährten Abstands- und Hygienemaßnahmen weiter selbst schützen.

Das Kommunikationsziel ist, Vertrauen aufzubauen, zu erhalten und ev. auch wiederherzustellen. Dazu gehört, maßgeschneiderte Informationen bereit zu stellen, Bedenken zu erkennen und darauf zu reagieren. Berechtigte Bedenken sollen ernst genommen werden, Falschinformationen hingegen soll gezielt entgegengewirkt werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz der Impfmaßnahmen in der Bevölkerung.

Dr. Herbert Heidegger und das Landesethikkomitee

Kritische Aspekte im Hinblick auf die Achtung des Solidaritätsprinzips:

  •  Notwendigkeit einer gemeinsamen Nutzung biologischer Proben und Gesundheitsdaten für Forschungszwecke, die in manchen Fällen aufgrund der Datenschutzbestimmungen behindert wird
  • Schwierigkeit bei der Ermittlung von Strategien für die Zusammenarbeit und Koordinierung von Forschungstreibenden, Forschungsförderern und Pharmaunternehmen, beispielsweise durch Austausch der verfügbaren Daten, um die Entwicklung eines Impfstoffes zu beschleunigen
  • Probleme im Zusammenhang mit der Festlegung ausgewogener Kriterien für die Verteilung und Zuweisung der anfänglich auf nationaler und internationaler Ebene knappen Impfstoffdosen (benachteiligte oder stärker betroffene Länder, ältere Menschen und Risikopersonen oder Personen, die dem Virus am stärksten ausgesetzt sind, wie im Gesundheitswesen Beschäftigte, oder andere Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von den sozioökonomischen Folgen der Pandemie betroffen sind…

Dr.in Marta Tomasi, Mitglied des Landesethikkomitees

ES